Donnerstag, 23. August 2012

Le prénom

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Nur wenige Monate nach Roman Polanskis viel beachtetem Carnage erscheint mit Le prénom eine weitere Kinoadaption eines französischen Bühnen-Kammerspiels. Anders als Polanskis provokant-sardonische Farce ist dieser ein Film im Stil der klassischen gallischen Gesellschaftskomödie.

In einer schicken Pariser Stadtwohnung wollen gehobene Mittelständler gemeinsam ein gemütliches Abendessen einnehmen. Hier die Gastgeber, der streitbare Linksintellektuelle, Uniprofessor Pierre (Charles Berling), und seine Frau Élisabeth (Valérie Benguigui), genannt Babou, selber Banlieue-Primarlehrerin; dort das Yuppie-Ehepaar Vincent (Patrick Bruel), Babous Bruder, und Anna (Judith El Zein), schwanger im fünften Monat. Der Fünfte im Bunde ist Claude (Guillaume de Tonquédec), ein kultivierter, stets ausgeglichener Posaunist und seit Jahren treuer Freund von Élisabeth. Nacheinander trudeln die Gäste ein, wobei Anna wegen einer Sitzung noch auf sich warten lässt. Auf das Drängen der Anwesenden rückt Vincent aber bereits mit dem Namen für seinen ungeborenen Sohn heraus: Mit einem "A" fängt der verhängnisvolle Vorname an und weckt die Erinnerung an einen berüchtigten Diktator des Zweiten Weltkriegs. Natürlich geht der Sozialist Pierre sogleich auf die Barrikaden und versucht, seinem Schwager die Idee auszutreiben. Doch das Thema lässt sich nicht aus der Welt schaffen und schon bald öffnen sich weitere Gräben zwischen den Dîner-Gästen.

In Frankreich, dem Heimatland der Bourgeoisie, gehören filmische, häufig satirische Analysen jener Gesellschaftsschicht schon seit Jahrzehnten zum Standard-Repertoire der nationalen Kinoindustrie. Die Werke grosser Cineasten wie Jean Renoir (La règle du jeu, 1939) oder Luis Buñuel (Le charme discret de la bourgeoisie, 1972) sind in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen; die Darstellung und Charakterisierung der Bourgeoisie markierte jeweils den gegenwärtigen Zustand der sich immer wieder neu ausdrückenden Klasse. In der Tradition dieser Gesellschaftskomödien ist denn auch Le prénom gehalten, der auf dem gleichnamigen Theaterstück der Regisseure Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière basiert.

Noch herrscht Heiterkeit: Claude (Guillaume de Tonquédec, links) und Pierre (Charles Berling, rechts) scherzen mit Vincent (Patrick Bruel).
Dass das Duo de la Patellière (ein Regie-Debütant)-Delaporte (ein Sophomore) niemals die Höhen Renoirs und Buñuels erreicht, muss als gegeben betrachtet werden. Ihr Film arbeitet zwar gut mit der unausweichlichen Theaterhaftigkeit des Stoffes – das Geschehen ist dramaturgisch solide aufgezogen und inszeniert –, doch dem Ganzen fehlt ein stringenter Rhythmus. Le prénom ist ein recht unstetes Erlebnis; flaue Passagen wechseln sich ab mit feurigen Rededuellen, köstlichen Einzeilern, sogar berührenden Geständnissen. Das Auf und Ab mag äusserst realistisch wirken, aber dennoch wünschte man sich im einen oder anderen Moment etwas mehr Überhöhung, etwas mehr Dynamik. Dies wäre den minimen Verlust an Realismus allemal wert.

Doch im Ganzen vermag Le prénom durchaus zu gefallen. Dem Film gelingt es, den Begriff der Bourgeoisie zu differenzieren, indem er ihre Ausprägungen im 21. Jahrhundert amüsant unter die Lupe nimmt: Er lässt das linke Bildungsbürgertum, den habilitierten Alt-68er Pierre, auf den reichen Weinkenner Vincent – wunderbar gespielt von Patrick Bruel, dessen Selbstbeweihräucherung Züge von Zero Mostels Pseudolus in A Funny Thing Happened on the Way to the Forum trägt – treffen, die frustrierte Akademikerin Babou auf die Karrieristin Anna. Doch bei allem Zwist endet der Abend auf einer versöhnlichen Note, ganz nach dem Motto: Es braucht schon mehr als das Aufbrechen familiärer Abgründe, um das Familiengefüge zu zerstören. Richtig französisch eben.

★★★

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