Freitag, 28. Dezember 2012

Beasts of the Southern Wild

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Für das Kunstatelier Court 13 war 2012 ein gutes Jahr, gehört doch das Langspielfilmdebüt seines Mitbegründers Benh Zeitlin zu den erfolgreichsten Indie-Produktionen des Jahres. Beasts of the Southern Wild ist zwar kein neuer amerikanischer Klassiker, doch Zeitlins romantische Vision vermag dennoch zu verzaubern.

Irgendwo im Mississippi-Delta, im Süden des US-Bundesstaats Louisiana, liegt "The Bathtub", eine kleine, durch einen künstlichen Deich von der Aussenwelt abgeschottete Gemeinde. Die Bewohner sind Selbstversorger; sie fischen Baumaterial aus dem Wasser, halten sich Hühner und anderes Geflügel, fangen Fische und Krebse mit blossen Händen. Steht ein Sturm bevor, wird gefeiert. In diesem Umfeld lebt die kleine, naturverbundene Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) mit ihrem Vater Wink (der grossartige Dwight Henry), der schwer erkrankt ist, dies aber vor seiner Tochter geheim halten will. Als durch das Schmelzen der arktischen Polkappen ein gewaltiger Sturm über The Bathtub hereinbricht, sehen sich Hushpuppy, Wink und ihre Freunde einer Gefahr ausgesetzt, welche über die gewohnten Überschwemmungen hinausgeht: Aus dem Eis sind monströse Urzeit-Untiere ausgebrochen.

Es ist eine anachronistische Gesellschaft, die Benh Zeitlin in seinem Film besingt. Das Bathtub-Bayou wird bevölkert von Menschen, welche scheinbar aus der amerikanischen Folklore angespült wurden: Frauenkleider tragende Sonderlinge, wie sie in einer Show von P. T. Barnum hätten auftreten können; sesshaft gewordene Hobos; liebenswerte Trunkenbolde; weise schwarze Frauen – Beasts of the Southern Wild lässt die Südstaaten Mark Twains und William Faulkners noch einmal aufleben und inszeniert sie gleichzeitig als ein modernes amerikanisches Utopia. Im Bathtub kennt man keinen Rassismus; Schwarz und Weiss feiert gemeinsam die Ankunft eines neuen Sturmes, trauert als Einheit um einen verstorbenen Freund, spielt Seite an Seite in einer Cajun-Band. Im Amerika der Finanzkrise, der Klassenunterschiede und der politischen Grabenkämpfe macht das Porträt eines ethnisch durchmischten, harmonischen, in der leicht hingenommenen Armut vereinten Gemeinwesens Eindruck und Hoffnung.

"Born on the Bayou": Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) lebt in Einklang mit der Natur in den amerikanischen Südstaaten.
Zeitlin beruft sich auf klassische Werte wie Gemeinschaftssinn, Individualismus, harte Arbeit und bedingungslosen Optimismus und lässt Hushpuppy, ausgezeichnet gespielt von der erst neunjährigen Quvenzhané Wallis, die Verkörperung all dieser Werte sein. In kindlicher Einfachheit spricht sie über die empfindliche Ordnung des Universums, dessen Überleben vom Zusammenspiel aller seiner Teile abhängt. Ob Zeitlin nun die amerikanische Gesellschaft oder doch den Klimawandel – Hushpuppys Monologen werden oft Bilder zerbrechender Eisschollen unterlegt – meint, ist letztlich ohne Belang, denn Beasts of the Southern Wild funktioniert dann am besten, wenn Politik und aktuelle Probleme aussen vor gelassen werden und das Ganze als enigmatisches Kindheits-Märchendrama im Stile von Where the Wild Things Are gelesen wird.

Beschränkt sich der Film mit seinen berauschenden Bildern und Klängen, seiner visuellen Poesie und seiner sympathischen Exzentrik auf die Sorgen des Mädchens – eine abwesende Mutter, ein sterbender Vater, eine den Naturgewalten unterworfene Existenz –, reüssiert er: Der Moment, in dem sich Hushpuppy einem rieisgen prähistorischen Auerochsen in den Weg stellt, ist atemberaubend und unvergesslich. Werden die Bathtub-Eingeborenen von nebulösen Regierungshelfern in ein Auffanglager jenseits des Deiches verfrachtet, dann verliert sich Zeitlins Virtuosität in bedeutungsschwangeren Symbolismus.

★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen