Sonntag, 2. Dezember 2012

Ruby Sparks

Sechs Jahre sind seit Little Miss Sunshine, dem oscarprämierten Überraschungserfolg von Jonathan Dayton und Valerie Faris, vergangen; das Ehepaar liess seither seine Kinoambitionen ruhen. Nun jedoch benutzen sie ihr Prestige, um einer aufstrebenden Autorin zum Erfolg zu verhelfen: Ruby Sparks, verfasst von der 29-jährigen Schauspielerin Zoe Kazan, ist eine leichtfüssige, (allzu) leicht verdauliche Etüde über die Macht, die Arroganz und die Einsamkeit eines Schriftstellers.

Noch vor wenigen Jahren war Calvin Weir-Fields (Paul Dano, der in Little Miss Sunshine seinen Durchbruch schaffte) einer der meist gefeierten jungen Autoren in den USA; selbst Vergleiche mit J. D. Salinger wurden nicht gescheut. Nun aber leidet der neurotische Eigenbrötler an akuter Schreibblockade; seinem grossen Roman liess er, wenn überhaupt, nur noch Novellen und Kurzgeschichten folgen. Doch dann sucht ihn die Inspiration heim: Im Traum begegnet ihm eine hübsche junge Frau (Zoe Kazan, Enkelin der Hollywood-Regie-Legende Elia Kazan), die er schon bald zu einer Romanfigur umfunktioniert. Er gibt ihr den Namen Ruby Sparks und beginnt, sich in seine Kreation zu verlieben. Als aber besagte Dame eines Morgens plötzlich leibhaftig in seiner Küche steht und sich wie eine typische Lebensgefährtin verhält, packt Calvin helle Panik: Hat ihn die Isolation in den Wahnsinn getrieben? Und die Unmöglichkeiten reissen nicht ab: Nicht nur stellt der mit der Situation heillos überforderte Schreiberling fest, dass auch andere Leute Ruby sehen können; er entdeckt, dass er seine Traumfrau nach Belieben umschreiben kann.

Reiz, Magie und Tücken der Literatur werden vom Kino immer wieder gerne aufgegriffen; auch heuer lassen sich mehrere Versuche aufführen – vom verunglückten The Words über den mittelmässigen On the Road bis hin zum raffinierten Dans la maison. Die Einflüsse von Zoe Kazan in ihrem Drehbuch-Debüt sind allerdings ein wenig früher im 21. Jahrhundert auszumachen: Wie in Spike Jonzes Adaptation oder in Marc Forsters Stranger Than Fiction bemüht sich Kazan darum, eine Liebesgeschichte mit der märchenhaften Idee zu verbinden, das geschriebene Wort könne die Realität grundlegend verändern.

Ein Fall für den Psychiater: der neurotische Schriftsteller Calvin (Paul Dano).
Ihr Ansatz ist durchaus reizvoll: Ein Schriftsteller erdichtet sich eine Freundin, woraufhin diese nicht nur auftaucht, sondern auch real zu sein scheint. Diese kreative Grundidee wird mit einigen satirischen Anklängen verbunden: Ruby ist eine jener "quirky, adorable women", welche seit einigen Jahren die amerikanische Komödienkultur bevölkern – Tina Fey in 30 Rock, Zooey Deschanel in New Girl, Comediennes wie Sarah Silverman oder Amy Poehler –, ist in dieser Rolle aber durch und durch das Resultat von Calvins Fantasie. So scheint es, als sei auch die Idealisierung der Frau, deren Bluse nicht von Broschen, sondern von Essensflecken geschmückt wird, auf dem besten Weg dazu, sich von feministischer Subversion in einen weiteren Stereotypen zu verwandeln. Passend auch der Kommentar von Calvins Bruder, gespielt von Chris Messina: "You haven't written a person. You've written a girl."

Doch das luftig leichte Konstrukt will einfach nie richtig zum Leben erwachen. Kazans Hauptfiguren bewegen sich in schönen, akkuraten Einstellungen – grosses Lob ans Regie-Duo Dayton und Faris – und bleiben stets das, was auch Ruby immer bleiben wird: ein Kunstprodukt. Es fällt schwer, eine emotionale Verbindung zu den Protagonisten aufzubauen, nicht nur weil Kazan und Paul Dano eher blass bleiben. Ruby hängt ganz von Calvins Launen ab, während dieser in seiner Einsamkeit offenkundig tiefere mentale Wunden erlitten hat, als es der Film zugeben will. Zwar werden immer wieder Andeutungen in diese Richtung gemacht – es ist kein Zufall, dass Ruby Sparks sich des Öfteren bei der Ästhetik des Horrorfilms bedient –, doch es fehlt die letzte Konsequenz. Einzig die klimaktische, von sexuellem Innuendo durchsetzte Szene, in der der Autor seiner Erfindung auf brutalste Art und Weise seine übermenschliche Macht demonstriert, offenbart sich die unangenehme Wahrheit, die unter der heiteren Oberfläche des Films schlummert. Doch das Problem löst sich enttäuschenderweise zu schnell und zu einfach; eine Lebens- und Schreibkrise lässt sich offenbar ganz einfach mit einem neuen Macbook von Apple lösen – viel perfider kann Produkteplatzierung eigentlich nicht mehr werden.

Calvin arrangiert sich mit dem Unglaublichen: Die Romanfigur Ruby Sparks (Zoe Kazan) ist zum Leben erwacht.
Es ist kein gutes Zeichen, wenn der Zuschauer seine Aufmerksamkeit lieber auf Nebenrollen wie jene von Antonio Banderas, Aasif Mandvi oder Steve Coogan statt auf die zentrale Romanze richtet. Ruby Sparks ist süss, anmutig, leicht verdaulich, aber nicht das, was man sich von den vermeintlichen Satirikern Jonathan Dayton und Valerie Faris als Zweitwerk gewünscht hätte. So aber ist das Indie-Kino lediglich um eine bekömmliche Komödie reicher.

★★★

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